Erster Satz:
"Die meisten Menschen glauben zu wissen, wie Verwesung riecht."
Urban Explorer, kurz Urbexer, sind jene Menschen, die fasziniert von verlassenen Gebäuden, sogenannten Lost Places, sind, die den Charme und die Schönheit des Verfalls erkennen, die Kraft der Natur, die sich nach und nach in ein leerstehendes Gebäude vorarbeitet. Denn wo kein Menschenleben mehr ist, wo das Wetter, Flora und Fauna ungehindert hineinkommen, dort entsteht eine Welt für sich. Eine spannende und nahezu mystische und märchenhafte Welt.
Urbexer sind diejenigen, die sich strikt an den Ehrenkodex "Take nothing but pictures, leave nothing but footprints" halten und nichts an oder in solchen Lost Places verändern oder zerstören. - Aber da gibt es auch noch die Anderen: Jene Menschen, die in verlassenen Gebäuden klauen, randalieren und herumschmieren. Die ihrer Zerstörungswut freien Lauf lassen und sich um nichts scheren.
Ich selber bin Urbexerin und habe schon viele Lost Places besichtigt - von jenen, die aussahen, als kämen die Besitzer gleich zurück, bis zu jenen, die komplett hinüber waren, war alles dabei und mehr als einmal fand ich es dermaßen gruselig, dass mich ein Leichenfund im nächsten Stockwerk dann auch nicht mehr gewundert hätte. In der Realität, in MEINER Realität wäre diese Tatsache natürlich der pure Horror gewesen - in der Fiktion setzt "Die ewigen Toten" an genau dieser Stelle an...
"Ich wischte mir eine Spinnwebe aus dem Gesicht. Wie zerrissene Theatervorhänge hingen sie schmutzverklebt von den Dachbalken. Alles hier oben war von Staub überzogen, die früher gelbe Isolierung zwischen den Trägern hatte sich in eine dreckige, braune Matte verwandelt. Staubpartikel wirbelten durch die Luft, glänzten in dem hellen Licht. Meine Augen juckten, trotz der Maske schmeckte ich Staub im Mund. Als über mir etwas durch die Luft schoss - ich fühlte es mehr, als dass ich es sah -, duckte ich mich. Erkennen konnte ich in der Dunkelheit nichts. Ich verbuchte es unter Einbildung und konzentrierte mich wieder darauf, wohin ich meine Füße setzte." - Zitat Seite 9
Das St. Jude Hospital in einem der heruntergekommeneren Stadtteile Londons steht nach jahrelangem Leerstand und allmählichem Verfall kurz vor dem Abriss, als auf dem Dachboden eine Leiche gefunden wird. Das Ungewöhnliche daran: Die Leiche ist vollständig mumifiziert, was die Begrenzung eines Zeitraumes, in dem sie nun schon dort oben liegt, erheblich erschwert. Um Klarheit über die Umstände ihres Todes zu erlangen, wird der forensische Anthropologe David Hunter, der uns schon in fünf vorangegangenen Thrillern das Staunen und Mitfiebern gelehrt hat, hinzugezogen.
Ein forensischer Anthropologe fängt mit seiner Arbeit dort an, wo ein Gerichtsmediziner aufhört, kann aufgrund verschiedener Faktoren genaueste Untersuchungen anstellen und in einer Leiche lesen wie in einem offenen Buch. Die Population der Insekten auf einer Leiche, die Farbe der Haut, Risse in den Knochen, die mit bloßem Auge gar nicht zu erkennen sind, usw. - Seit dem ersten Buch der Reihe "Die Chemie des Todes" sind Leser weltweit fasziniert von David Hunter und seiner Arbeit und verfolgen gespannt seine Fälle.
Im St. Jude offenbart der Leichenfund immer grausamere Details, denn offenbar handelte es sich um eine Schwangere, deren Fötus nur noch als ein Häuflein Knochen zu erkennen ist. Beim Versuch, Mutter und Kind möglichst vorsichtig aus dem Gebäude zu transportieren, bricht ein Mitarbeiter durch die Decke ....und landet in einem Raum, der im Grundriss des Krankenhauses gar nicht eingezeichnet ist. Der weder Türen noch Fenster hat...und in dessen Betten jemand liegt.
Die Ereignisse überschlagen sich, die Presse will Auskunft, die Vorgesetzten wollen Ergebnisse. Über allem steht jedoch die Frage: Gibt es noch mehrere geheime Räume im St. Jude? Findet man noch mehr Leichen? Dann sind da noch diejenigen, die den Abriss des St. Jude unbedingt verhindern wollen und David und seinen Kollegen von der Polizei ständig Steine in den Weg legen - und der Bauunternehmer, der das Gebäude lieber heute als morgen abreißen will. Weil er etwas zu verbergen hat. Die alte Frau mit ihrem schwerkranken Sohn, die sich im verwunschen wirkenden Wald hinter dem St. Jude herumtreibt, Drohungen, Beschimpfungen, Machtspiele und schließlich Mordanschläge.
David Hunter, der in "Die ewigen Toten" aus der Ich-Perspektive erzählt, kommt in diesem Buch nicht zur Ruhe, denn auch sein Privatleben sieht alles andere als rosig aus. Trotzdem ist er ein unheimlich rational denkender, ruhiger und besonnener Mensch. Eigenschaften, die ihn mir absolut sympathisch machen.
Der Schreibstil des Autors ist nicht reißerisch, sondern so, dass es zu seinem Hauptprotagonisten passt. Und trotzdem holt einen das Buch von der ersten Seite an, vom ersten Satz an ab und lässt einen bis zum Schluss nicht mehr los. Denn da ist noch etwas anderes: Der zweite Hauptprotagonist, der sozusagen undercover agiert. Ihr könnt es Euch denken? - Richtig! Der Lost Place, das St. Jude Hospital, hat nach David Hunter die für mich wichtigste Rolle. Ein Großteil der Handlung spielt sich dort ab und diese düstere Stimmung, dieses bedrückende Dunkel, das sich über die Seiten legt, sobald man als Leser das Gebäude betritt, kann man fast schon mit den Händen greifen. Wer jemals in einem Lost Place war, wird mich verstehen, allen anderen wird es nicht schwerfallen, ihre Fantasie zu bemühen.
Dass ich ein großer Fan der David Hunter - Reihe bin, dürfte nicht weiter verwunderlich sein, perfekt finde ich jedoch, dass man alle Bücher unabhängig voneinander lesen kann. In "Die ewigen Toten" kommen zwar ein paar "Altlasten" auf David zu, diese sind aber ausreichend erklärt und auch gut verständlich für diejenigen, die die vorangegangenen Bände nicht kennen.
MEIN FAZIT lautet hier: 5 VON 5 GLITZERSTERNEN
INFOS ZUM BUCH
TITEL: Die ewigen Toten
AUTOR: Simon Beckett
REIHE: 6. Teil (unabhängig voneinander lesbar)
VERLAG: Wunderlich (www.rowohlt.de)
ISBN: 978-3-80525-002-3
ERSCHIENEN im Februar 2019
FORMAT: Gebunden
SEITEN: 480
PREIS: 22,95 Euro
TITEL DER ORIGINALAUSGABE: The Scent of Death
AUS DEM ENGLISCHEN von Karen Witthuhn und Sabine Längsfeld
Offenlegung: Das Exemplar von "Die ewigen Toten" wurde mir vom Wunderlich/Rowohlt Verlag zu Rezensionszwecken unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Dennoch gilt natürlich: MEIN BLOG - MEINE MEINUNG!
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