Erster Satz:
"Am ersten Tag verliere ich mein Zeitgefühl, meine Würde und einen Backenzahn."
Vor etwa einem Jahrzehnt noch verband man gute Thriller mit Amerika, denn die bekanntesten und besten Thriller-Autoren kamen größtenteils von dort. Die deutsche Konkurrenz schlief jedoch nicht
und etablierte sich nach und nach immer mehr auf den Must-Read Listen der geneigten Leserschaft und - das ist jetzt meine ganz persönliche Meinung - überholte irgendwann die Kollegen
jenseits des Atlantik. Auffällig hierbei war jedoch, dass es sich in der Mehrheit um männliche deutsche Autoren handelte.
....und nun kommt da mit Romy Hausmann eine junge Autorin daher, die mit ihrem Debütroman "Liebes Kind" gleich einen absoluten Treffer landet. Ein Treffer, der nachhallt, der betroffen und
beklommen macht, der den Wunsch aufkommen lässt zu verstehen, der mitleiden und verzweifeln lässt und dem Leser die reinste Achterbahn der Gefühle beschert. Ein Treffer, der so tief in die Psyche
der Menschen eintaucht, dass er den Leser mit allen Sinnen mitnimmt in ein Gefängnis, aus dem es jahrelang keinen Ausweg gibt.
Dieses Buch fängt dort an, wo andere fast schon aufhören - mit einer Flucht. Mit der Flucht einer Mutter aus einer einsamen Waldhütte, in der sie jahrelang mit ihren Kindern vom Vater der Familie
eingesperrt war. Einer Hütte, die verriegelt und vernagelt war, in der der Vater über Tag und Nacht, über Essens- und Schlafenszeiten und über das restliche Familienleben bestimmte. Eine kleine
abgeschiedene Welt, die für die Kinder Hannah und Jonathan normal war - weil sie nie etwas anderes kennen gelernt hatten. Ein Leben, das für die Mutter Lena die Hölle auf Erden war. Ein
Dahinsiechen, bei dem die erste Chance zur Flucht genutzt wird.
Völlig überstürzt und kopflos läuft Lena bei ihrer Flucht vor ein Auto und wird schwer verletzt. Und ab da geht die Geschichte richtig los: Die bewusstlose Lena auf der Intensivstation, Lenas
Eltern, die seit 14 Jahren über den Verbleib ihrer Tochter bangen und Hannah, diese seltsame 13jährige, die ihre Mutter in die Klinik begleitet. Die ein sehr intelligentes Kind ist und
gefühlt ein ganzes Lexikon auswendig daher sagen kann, die theoretisch alles weiß, in der Praxis aber nie etwas anderes kennen gelernt hat, als das Innere der Hütte im Wald. Ihr
Zuhause.
Die Geschichte wird abwechselnd aus der Sicht von Lena, die ja eigentlich gar nicht Lena heißt, Lenas Vater Matthias und Hannah erzählt. Während es sowohl bei Lena als auch bei Matthias
Rückblenden gibt, die die ganze Grausamkeit dieses unfassbaren Verbrechens aufzeigen und die Verzweiflung der Eltern, deren Kind plötzlich spurlos verschwunden ist, erzählt Hannah aus der
Gegenwart und vom merkwürdigen Verhalten der Menschen, die mit ihr reden.
Romy Hausmann schafft es, den Leser vom ersten Satz an gefangen zu nehmen, mitzunehmen in die kleine Waldhütte, ihn durch sämtliche Emotionen der Protagonisten zu leiten und ihn fassungslos,
aufgewühlt und voller Spannung Seite um Seite umblättern zu lassen. Geschickt streunt die Autorin immer wieder gezielt kleine subtile Hinweise, die schlussendlich ein großes logisches Ganzes
ergeben.
Dieser Psychothriller taucht tief in die Abgründe der menschlichen Psyche ein, offenbart ein "Warum" und vor allem ein "Wie". Wie kann man so eine lange Gefangenschaft überstehen? Wie würde man
selber handeln? Könnte man überhaupt handeln? Das sind die Fragen, die man sich unweigerlich stellt, stellen muss. Auch noch Tage nach der Lektüre.
MEIN FAZIT: Ein großartiges Debüt, das einen bis zur letzten Seite nicht mehr loslässt. Unbedingte Leseempfehlung und 5 VON 5 GLITZERSTERNEN!
INFOS ZUM BUCH
TITEL: Liebes Kind
AUTORIN: Romy Hausmann
VERLAG: dtv (www.dtv.de)
ISBN: 978-3-423-26229-3
ERSCHIENEN im Februar 2019
FORMAT: Broschiert
SEITEN: 432
PREIS: 15,90 Euro
Offenlegung: Das Exemplar von "Liebes Kind" wurde mir vom dtv Verlag zu Rezensionszwecken unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Dennoch gilt natürlich: MEIN BLOG - MEINE MEINUNG!
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Shadownlight (Donnerstag, 28 Februar 2019 13:16)
Danke für die Buchvorstellung!
Liebe Grüße!
Bettina (Freitag, 01 März 2019 20:15)
Das Buch nehme ich mir mal vor. Schöne Rezension, danke dafür �
Gruß, Bettina �